Warum wir emotionale Sicherheit im Larp brauchen

Veröffentlicht von Betty am

Warum wir emotionale Sicherheit im Larp brauchen

Dieser Artikel ist Teil einer journalistische Aufarbeitung des Larptalks “Wie schaffe ich emotionale Sicherheit?“ von Sydney und Betty. In diesem Larptalk haben sich die beiden Autor*innen mit dem Thema der emotionalen Sicherheit im Larp auseinandergesetzt und allerlei Grundlagen aber auch Handreichungen zur konkreten Umsetzung dieser Problematik gegeben. Ziel dieser Aufarbeitung soll es sein, die im Larptalk enthaltenen Informationen strukturiert in textlicher Form zur Verfügung zu stellen und ggf. zu ergänzen/anzureichern, damit Larpenden die enthaltenen Informationen in möglichst einfacher Form zugänglich gemacht werden.

Die in den Beiträgen enthaltenen Informationen erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen nur eine erste Einführung, Sensibilisierung und Handreichung für Interessierte an dieser Thematik sein. Ebenfalls kann diese Beitragsreihe, bei Bedarf erweitert werden.

Die Autor*innen

Gastautor*in Sydney

Sydney (dey/deren)

Larp-Designende, Orga und Spielleitung mehrerer Runden und Gruppen, hauptsächlich im internationalen Online-Larp oder kleineren Chamber-Larps anzutreffen. Sydney larpt seit 2009, lange in einer Vampire-Chronik (bis 2018) und spielt/leitet nun vor allem Urban Fantasy/Drama/Online/Offline-Larps. Sydney hat sich in der Vergangenheit viel mit emotionaler Sicherheit auseinandergesetzt, vor allem durch eigene schlechte Erfahrungen aber auch aufgrund deren Rolle als Spielleitung und damit auch verantwortlichen Person gegenüber anderer Spielenden. Im Reallife arbeitet Sydney als Regieassistenz für junges Publikum an einem Stadttheater.

Betty (he/him)

Orga und Spielleitung mehrerer (Fantasy-)Larp-Reihen (bspw. Spielleitung und Mitglied des Teams für Krisenintervention auf dem „Drachenfest“, Orga und Spielleitung auf dem „Broken Crown“), früherer Autor für das Online-Magazin „Teilzeithelden“. Als Spieler/NSC bei allen möglichen Larps anzutreffen, die spannende Konzepte bieten. Betty macht sich seit über einem Jahrzehnt Gedanken über Larp-Theorie und teilt diese mit anderen. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei darauf, die Komplexität von Larp zu erkennen, möglichst verständlich zu machen und dieses Wissen dafür einzusetzen, Larp für alle (!) Teilnehmenden besser zu machen. Er hat unter anderem den Begriff des „play to struggle“ (mit-)geprägt.

Hier findet ihr (immer aktuell) eine Übersicht und die dazugehörigen Links zu allen Beiträgen dieser Beitragsreihe:

„Aus Empathie kommt Respekt.
Aus Respekt kommt die Fähigkeit, die eigene Verletzlichkeit zu zeigen und die der anderen zu akzeptieren.
Daraus entwickelt sich Vertrauen.
Daraus entwickelt sich emotionale Sicherheit.“​

Sydney

Spaß entsteht, wenn es allen Beteiligten gut geht

Larp ist ein Hobby (oder eine Vielzahl an Hobbies) und als solches sollte es uns Spaß machen. Wenn wir keinen Spaß haben, gibt es keinen Grund für uns alle dieses Hobby auszuüben. Aus welchen Inhalten wir diesen Spaß ziehen ist von Person zu Person unterschiedlich und soll nicht Thema dieses Beitrages sein.

Was jedoch eindeutig Thema dieses Beitrags sein soll ist der Fakt, dass für den Spaß aus unserer Sicht das Wohlbefinden aller Teilnehmenden (nicht unbedingt das der Charaktere) im Vordergrund stehen sollte. Natürlich wollen wir niemandem die alleinige Verantwortung für das Wohlbefinden der Teilnehmenden zuschreiben, aber da im Larp viele Menschen (oder Elfen/Orks/etc.) miteinander interagieren und durch ihre Taten aufeinander Einfluss haben, heißt das im Umkehrschluss eben auch, dass wir damit auch alle zumindest zum Teil Verantwortung für den Spaß der anderen (mit-)übernehmen. „Aus großer Kraft, folgt große Verantwortung“, wie schon Spiderman lernen musste.

Wir gehen nicht davon aus, dass es irgendeiner Person Spaß macht zu erfahren, dass es einer mitspielenden Person nicht gut ging oder sie sogar OT emotional unter einer Situation gelitten hat. Anstatt aber unsere Augen vor dem potentiellen Unheil zu verschließen, sollten wir alle vielmehr lernen, wie wir solche Konsequenzen für andere und uns möglichst früh erkennen und/oder sogar vermeiden können. Als ersten Schritt auf diesem Weg sehen wir das (An-)Erkennen der eigenen Verantwortung jedes Teilnehmenden an einem Larp nicht nur für den eigenen Spaß, sondern auch für den Spaß aller anderen Teilnehmenden. Unserer eigenen Erfahrung nach hatten wir bisher besonders viel Spaß auf Larps, wenn unsere Mitspielenden sich sicher und verstanden gefühlt haben. Dem folgend maximiert sich der eigene Spaß also, wenn es allen Beteiligten gut geht und sie auch Spaß haben. Dies sollte also, neben dem offensichtlichen und bereits genannten Grund, ein weiterer sein, auf das Wohlergehen der anderen Teilnehmenden (mit-)zu achten.

Aus Erfahrung kommt der Wunsch nach Sicherheit

In diesem Teil möchten wir kurz beispielhaft auf zwei Situationen eingehen, die zeigen sollen, wie sich mangelnde (emotionale) Sicherheit bei einem Larp auf die Mitspielenden ausüben kann. Dabei wollen wir uns damit nicht besonders in den Mittelpunkt stellen, sondern vielmehr Anhaltspunkte für andere Larpende liefern, eigenes Erlebtes eventuell besser einordnen zu können und weiterhin Gründe liefern, warum gerade wir Autor*innen uns entschieden haben, am Thema „emotional Safety“ zu arbeiten.

Auf einem Larp spielte Sydney einmal mit zwei deren bis dahin völlig fremden Menschen eine Situation, die weder abgesprochen noch kalibriert war (zum Thema Kalibrierung kommen wir in einem späteren Artikel noch einmal zurück) und in der sich Sydney sehr unwohl fühlte. Aufgrund dessen, dass dey neu im Larp war, traute Sydney sich nicht, die Szene zu unterbrechen, was aus deren heutiger Sichtweise ein absolut valides Mittel gewesen wäre. Weiterhin gab es auf diesem Larp (leider) auch keine Workshops oder andere Sicherheitsmechanismen die geholfen hätten, diesen Konflikt zielführend für alle Beteiligten zu lösen. Sydney versuchte im Anschluss an das Larp mit den beteiligten Personen zu sprechen, leider gingen diese jedoch entweder gar nicht oder nicht ausreichend auf die Situation ein, weshalb für Sydney keine wirkliche Reflektion des Geschehenen stattfand. Stattdessen hatte dies zur Konsequenz, dass Sydney im Anschluss an das Larp das Gefühl hatte, dass deren Gefühle nicht valide waren oder dey etwas falsch verstanden hatte. Erst Tage später realisierte Sydney in einem Gespräch mit einer befreundeten Person, dass dey sich sehr unsicher gefühlt hatte und auch traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit getriggert wurden. Nach dieser Erfahrung begann Sydney Gespräche mit anderen Larpenden zu führen und musste feststellen, dass diese Erfahrung leider kein Einzelfall war. Daraus ist bei Sydney der Wunsch entstanden, Larp zu einer sichereren Erfahrung für alle Beteiligten zu machen.

Betty wiederum traf in seinem ersten intensiven Drama-Larp auf Spielmechanismen, die die IT-Welt enorm erweiterten. In einem kontemporären Setting (Jetztzeit) angesiedelt gab es Pre-Play der Charaktere via Facebook, Anrufe auf dem Handy der Charaktere von „außerhalb des Spielbereichs“ (bspw. Eltern der Charaktere von der Orga gespielt) etc.. Verbunden mit Intrigen-Elementen auf verschiedenen Ebenen führte dies für ihn im Nachgang zu Erfahrungen von anhaltender Paranoia. Diese gingen so weit, dass er mit größeren Menschenansammlungen Probleme hatte und es auch nicht aushalten konnte, dass jemand auf dem Gehweg direkt hinter ihm lief.

Dies sind nur Beispiele. Sie zeigen, wie Bleed und Immersion uns nachhaltig beeinflussen können auf und auch nach einem Larp. Wir Autor*innen möchten nicht, dass wir oder jemand anders sich so fühlt. Wir möchten weiterhin dafür sensibilisieren, dass solche und ähnliche Gefühle nicht falsch/invalide sind. Wenn wir uns in oder nach einer Spielsituation OT nicht gut fühlen, sind diese Gefühle valide und sollten (ggf. gemeinsam mit Orga/Mitspielenden/Safety-Person) reflektiert werden um das Gefühl zu verarbeiten und/oder Sorge dafür zu tragen, dass man selbst und andere sich in Zukunft nicht mehr so fühlen.

Ein kleiner Exkurs zu Immersion und Bleed

Auf einem Larp kann es passieren, dass die Spielenden Immersion erleben und dadurch nach dem Larp auch “Bleed” ausgesetzt sind. Bleed wird aus der spielenden Person auf den gespielten Charakter übertragen oder wird umgekehrt von der spielenden Person aus dem vom gespielten Charakter Erlebten mit ins reale Leben genommen.

Immersion bedeutet “einbetten, eintauchen”. Durch Ausstattung, Setting, inszenatorische Mittel, Hintergrund und Verknüpfungen erschafft eine Orga Immersion und die spielende Person „taucht“ in ihren gespielten Charakter und/oder die Hintergrundwelt ab und nimmt diese „realitätsnah“ wahr. Diese Immersion kann aber auch stattfinden, wenn ein Larp realitätsferne Ausstattung hat.
Das nennt man mentale Immersion: ein Rezipient versetzt sich in eine Handlung.

Die Immersion bedingt den Bleed. Sobald Immersion stattfindet, sobald eine spielende Person die Gefühle eines gespielten Charakters selbst spürt, wird es Bleed geben. Dieser kann sich stark oder auch weniger stark äußern.

Bleed ist eine emotionale Nähe zwischen den Gefühlen des gespielten Charakters und denen der spielenden Person. Die Gefühle, die ein Charakter empfindet, kann die spielende Person selbst empfinden und umgekehrt. Der bespielte Charakter „benutzt“ die Gefühle und den Körper der spielenden Person und die Emotionen des Charakters werden selbst von den Spielenden empfunden.

Bleed-in: Die persönlichen Gefühle der spielenden Person “bluten” in den Charakter. (z.B.: Ich kann jemanden OT nicht leiden, das kann dazu führen, dass auch mein Charakter den Charakter der anderen Person nicht leiden kann.)

Bleed-out: Ich spüre die Emotionen meines Charakters, z.B. Trauer über den Tod eines Charakters, aber vielleicht auch Wut über eine bestimmte Situation oder Freude.

Bleed kann sich negativ wie auch positiv äußern.

Bleed und wie Spielende damit umgehen muss nicht nur die Verantwortung der Spielenden sein, die Orga kann dahingehend eine helfende Hand ausstrecken, damit sich Menschen mit ihrem Bleed nicht allein fühlen.

Bleed kann sich auch kaum merklich äußern. Oftmals kann es dazu kommen, dass sich Spielende sicherer im Alltag fühlen oder auch die Kleidung ihres Charakters im realen Leben tragen (hier sind vor allem Larps in der Jetztzeit und Urban-Settings gemeint). Oder es übertragen sich Verhaltensweisen des Charakters in den Alltag.

Hier möchten wir für Interessierte auch einmal auf den (bereits einige Jahre alten) Artikel von Betty bei den Teilzeithelden zu dem Thema hinweisen

Positive Erfahrungen mit Sicherheitsmechanismen

Kritik an Sicherheitsmechanismen ist oft, dass diese das Spiel unangenehm bremsen würden. Sicherheitsmechanismen sind aber natürlich nur im Notfall anzuwenden und schaffen ein viel größeres Vertrauen für das Spiel. Alleine, dass sie existieren gibt den Spielenden die Sicherheit, frei zu spielen. In der Regel bietet Larp vor allem Potential dafür, gemeinsam tolle und intensive Erlebnisse in einem sicheren Rahmen zu haben. Unser Ziel ist es, mit Sicherheitsmechanismen darauf hinzuarbeiten, die existenten Gefahrenquellen sicherer zu machen. Mit diesen Beiträgen möchten wir den obengenannten sicheren Rahmen, und damit die Basis für die positiven Erfahrungen, gemeinsam gestalten. Auch hier möchten wir ein Beispiel anbringen, wie ein angewandter Sicherheitsmechanismus zu mehr Spaß für alle Beteiligten geführt hat um eben keine Angst zu schüren, sondern die Verwendung von Sicherheitsmechanismen positiv zu verstärken.

In einem Online-Larp mit Sicherheitsmechanismen kam es dazu, dass Sydney, dey eine antagonistische Person spielte, sich irgendwie unwohl fühlte und merkte, dass die anderen Charaktere dey über mehrere Minuten ins Kreuzfeuer genommen hatten und es den Anschein von

„alle gegen eine*n“ bekam. Sydney hat dann im Chat die X-Karte (ein Mechanismus, der anzeigt, dass man mit einem Spielinhalt nicht weiter konfrontiert werden möchte, wird ebenfalls in einem späteren Beitrag noch genauer beleuchtet werden) benutzt, um den Mitspielenden zu verstehen zu geben, dass dey sich gerade damit nicht wohl fühlt. Die anderen Spielenden gingen sofort darauf ein und öffneten das Spiel. Im Anschluss entwickelte sich die Dynamik besser und Sydney fühlte sich viel wohler. Im Feedback wurde die Szene noch einmal besprochen und war für alle eine sehr befriedigende Erfahrung.  

„Ich will einfach nur larpen“ ist veraltet

Vor allem im Fantasy-Larp wird bisher wenig mit Sicherheitsmechanismen gearbeitet, da viele Cons mit einem über mehrere Jahrzehnte laufenden Plot sich nur schwerfällig verändern. Es kommen, vor allem auf größeren Veranstaltungen, unglaublich viele Menschen mit oftmals sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Meinungen über Larp an einem Ort zusammen. Einige Teilnehmende, vor allem jene, die entweder schon sehr lange larpen oder noch keinen Sinn in Sicherheitsmechanismen gefunden haben, tun Workshops oder die Beschäftigung mit den Bedürfnissen anderer Mitspielenden häufig mit „Ich will doch einfach nur larpen“ ab. Wie aber schon eingangs erwähnt, ist Larp ein soziales Hobby, das nur wirklich allen Spaß machen kann, wenn alle auch aufeinander achten. Und das ist mit Sicherheitsmechanismen eben am einfachsten möglich. Larp ist komplexer geworden, als es in seinen Anfangstagen gewesen ist. Es ist vielfältiger geworden und ist aufgeblüht. Wir freuen uns darüber, dass Larp so ein wundervolles Hobby ist. Mit der gestiegenen Komplexität dieses sozialen Hobbies kommt aber auch ein gesteigertes Bedürfnis nach (emotionaler) Sicherheit, dem wir mit geeigneten Sicherheitsmechanismen nachkommen wollen.

Alle.

Gemeinsam.

Alle Bilder wurden freundlicherweise von den jeweiligen Fotografen sowie der Orga des "Club Babylon - Rot" zur Verfügung gestellt. Die Fotografen waren: Frank Mühlbauer, Karsten "Fotofänger" Zingsheim und Tim Berghoff. Die Autor*innen danken den Fotografen herzlich für ihre Mitarbeit.

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