„All dies ist schon einmal geschehen und all dies geschieht irgendwann wieder…“ – Wiederholbare Larps
Veröffentlicht von Betty am
„All dies ist schon einmal geschehen und all dies geschieht irgendwann
wieder...“ – Wiederholbare Larps
In den letzten Jahren ist mir ein Trend aufgefallen, zuerst in der internationalen und jetzt auch immer stärker in der deutschen Larp-Szene: Larps, welche in mehreren aufeinanderfolgenden Durchläufen („Runs“) dieselbe Geschichte erzählen oder zumindest von derselben Grundsituation ausgehen/starten. Hierbei gibt es in der Regel dieselben – oder zumindest sehr ähnliche – Charaktere und Grundkonstellationen; nur die Teilnehmer und Details unterscheiden sich. Die Möglichkeiten der Spieler in die Charakterausgestaltung einzugreifen ist meistens recht begrenzt, doch auch hier gibt es abweichende Konzepte. Beim „College of Wizardry“ müssen Charakterverknüpfungen und –plots zum Beispiel von den Teilnehmern gemeinsam entwickelt werden.
Ich habe mich letztens einmal mit Esther Kurzok getroffen, dem kreativen Kopf hinter Private Mystery – einer Firma, die sich darauf spezialisiert hat sich solche immer wiederholende, kurze Mini-Larps (insgesamt ca. 2-3 Stunden) durchzuführen, um mit ihr einmal darüber zu plaudern, warum man denn immer wieder dasselbe machen sollte.
„Die Spiele sind so aufwendig, dass es schade wäre, wenn sie nur einmal gespielt würden.“
Esther erzählt mir, wie aufwendig es ist Larps zu designen, irrelevant ob es große oder kleine sind. Dabei fließt viel Herzblut in die Gestaltung ihrer Spiele. An dem Tag an dem ich sie besucht habe, haben wir „Das Wirtshaus im Schwarzwald“, ein Räuberstück zu Zeiten Napoleons, gespielt. Es ist Esthers Lieblings-Spiel aus dem Programm von Private Mystery, verrät sie mir. Und dieses Herzblut konnte man spüren. Die Charaktere sind so aufwendig und liebevoll geschrieben und miteinander verknüpft, es gibt so viele Handlungsebenen, dass man sie innerhalb eines Runs gar nicht alle anspielen und erkunden kann. Da wäre es tatsächlich schade, wenn man nur einmal die Chance hätte, das Ganze in Action zu erleben, sowohl als Teilnehmer, wie auch als Autor/Spielleitung. Man gibt so auch, besonders bei Konzepten die eine Teilnehmerbegrenzung haben, mehreren Menschen die Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen. Auf internationaler Ebene hat sich bereits durchgesetzt, dass neben den Spielen in Landessprache auch internationale Runs gespielt werden. Um auch Larpern aus dem Rest der Welt die Möglichkeit zu geben, an diesem Spiel teilzunehmen, werden diese Veranstaltung mit Englisch als Spielsprache durchgeführt.
Außerdem, so führt sie weiter aus, hat das Ganze auch einen wirtschaftlichen Faktor. Anstatt die Kosten für zum Beispiel Requisiten nur durch einen einzigen Run decken zu müssen, kann man diese auf mehrere Veranstaltungen umlegen, da sie immer wieder dieselben Requisiten benötigen werden. Dies erhält unter anderem dadurch noch mehr Gewicht, da es immer wieder bei solchen Larps dazu kommt, dass auch die Gewandungen (zumindest teilweise) gestellt werden. Sei es das „Tales Inside“, wo es Overalls für jeden Teilnehmer gibt oder auch das „College of Wizardry“, wo die Schuluniformen gestellt werden. Bei LARPs wie dem tschechischen „Legion – Siberian Story“ wird gar die komplette Ausrüstung gestellt, was bei dem Setting (Rückmarsch der tschechischen Armee durch die Schneewüste zum Ende des I. Weltkrieges) auch durchaus sinnig ist. Das kostet Geld und Arbeit. Beides Dinge, die man sowohl gegenüber den Spielern als auch vor allem sich selbst gegenüber oftmals nur rechtfertigen kann, wenn man diesen Aufwand auf mehrere Runs umlegt.
„Es ist eben nicht mehr vom Selben, sondern bei jedem Run bin ich gespannt, was geschehen wird.“
Auch bei Private Mystery gibt es Gewandungsstücke. Wohlgemerkt nicht so ausgefallene wie bei „Legion – Siberian Story“, aber es geht Esther auch gar nicht um die Ausstattung oder um das „richtig gut aussehen“, sondern viel mehr um den Spielspaß. Eine Gewandung, das weiß sie, stützt die Immersion, aber ein zu großer Fokus auf diese Details lenkt für sie zu sehr vom Spiel ab. Zudem kommt hinzu, dass für Private Mystery die Zielgruppe gar nicht unbedingt nur Larper sind.
„Zu uns kommen Leute, die zwar am Rollenspiel interessiert sind, aber nicht zwingenderweise Rollenspieler sind. Die, die mit wenig Aufwand mal hereinschnuppern wollen. Teilweise kommen sie sogar mehrmals für dasselbe Spiel. Oder sie kommen spontan. Ich habe die tollsten Aktionen bisher von Leuten gesehen, die eben keine Rollenspiel- oder Schauspielerfahrung hatten. Es ist immer wieder für viele eine Überraschung, wenn die Frage aufkommt, wer denn von den Mitspielern Larper oder Rollenspieler sei und sich dann nur 2-3 Hände im Raum heben.“
Und mit solch einer Zielgruppe wäre ein Fokus auf zu viel Gewandung eher abschreckend. So nutzt Esther die Erfahrungen, die sie in den einzelnen Runs macht, um die Spiele nachzuschärfen und zu verbessern. Da werden Charakterdetails ergänzt, Verflechtungen umgeworfen oder ganze Spielkonzepte geändert. Sie lernt mit jedem Spiel dazu und kann so dafür sorgen, dass die nachkommenden Runs immer ein Stück weit besser laufen.
Ich bin ein wenig verwirrt und weise Esther auf ihre Aussage hin, dass verschiedene Leute sogar zu mehreren Runs desselben Spieles kommen. Ob sie dann nicht schon die Geschichte kennen würden, frage ich sie. Wo liegt der Reiz auch für die Spieler, erneut zum Beispiel in dieselbe Geschichte einzutauchen?
Esther erklärt mir mit Hingabe, dass jeder Run zwar auf derselben Grundsituation beruht, das Ergebnis aber immer ein vollkommen anderes ist. Zum einen verändert sie die Charaktere und ihre Beziehungen aufgrund der Erfahrungen früherer Runs. Zum anderen sind durch die Vielzahl an Verknüpfungen und Ebenen nie alle in einem Spiel zu finden. Zu guter Letzt ist ein LARP immer nur ein kontemporäres Medium, dass durch alle Teilnehmer gemeinsam geformt wird. Das heißt mit jeder Veränderung der Teilnehmer ändert sich auch automatisch das Gesamtergebnis.
Manche wollen also wissen, was passiert, wenn sie etwas anders machen als beim letzten Mal. Oder sie wollen eine andere Rolle spielen um einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Esther ist immer wieder überrascht, sagt sie, wie unterschiedlich die verschiedenen Runs laufen können.
„Die Ergebnisse sind da immer vollkommen unterschiedlich. Charaktere die bei einem Run unbeschadet überleben kommen beim nächsten Run schon nach der Hälfte der Zeit um. Wenn diese dann noch vitale Geheimnisse mit ins Grab nehmen, ändert das die gesamte Dynamik des Spiels.“
Charaktertode heißen bei Esther jedoch nicht den Ausstieg aus dem Spiel. Der Spieler des toten Charakters bekommt dann einfach einen neuen Charakter, ändert ein wenig seine Gewandung mittels der bereitgestellten Requisiten und steigt wieder mit Vollgas ins Spiel ein. Es gibt also keinen Grund, nicht mit vollem Einsatz zu spielen und seine Charaktere auch sterben zu lassen.
„Kein Konzept, dass für jeden funktioniert“
Natürlich, dass betont meine Gesprächspartnerin, ist dieses Konzept nicht für jeden geeignet. Sie versuche auch gar nicht, die klassischen LARP-Konzepte als überholt oder schlecht hinzustellen. Sie alle haben ihre Berechtigung. Für Esther ist Private Mystery ihre Art, sich kreativ auszuleben, sich bzw. Ihre Spiele kontinuierlich zu verbessern und so den Teilnehmern immer das bestmögliche Erlebnis zu bieten.
Vor allem für professionelle Anbieter von Liverollenspielen liegt in dieser Art, Events anzubieten, ein Vorteil. Der Aufwand an Vorbereitung für die einzelnen Runs ist deutlich geringer als bei normalen Cons, dafür hat man allerdings auch einen erheblicheren Aufwand vor der ersten Veranstaltung. Denn um ein Konzept zu erstellen, dass dicht genug ist um die Teilnehmer mitzureißen, „lebendige“ Charaktere zu schreiben, die Requisiten zu beschaffen, die nicht nur einmal, sondern längerfristig gut aussehen und funktionieren, das bedarf nicht wenig Arbeit. Im Idealfall sollen die Teilnehmer animiert werden wiederzukommen und erneut mitzuspielen.
Bei Private Mystery geht das Konzept auf. Sicher, nicht für jeden Larper sind zwei Stunden Spiel genug, aber in diesen zwei Stunden geben alle Vollgas und packen so viel Spiel, wie manche in ganzen Wochenend-Cons nicht erleben. Doch Esther reicht das nicht. Sie verrät mir, dass sie Private Mystery weiterentwickeln will. Sie erklärt, dass sie „Das Wirtshaus im Schwarzwald“ gern auf ein klassisches Wochenend-Larp ausdehnen möchte. Und dies dann auch nicht mehr nur in einem Raum, sondern auf einem gesamten Haus mit angrenzendem Waldgebiet. Potential bietet das Spiel auf jeden Fall genug dafür. Dann könnte ich mir endlich Zeit nehmen, die Geheimnisse um die Adeligen, Räuber und Rebellen ausführlich zu erforschen. Wer weiß, wie sich dann alles entwickeln wird?
Fazit
Wiederholbare Larps sind also eine gar nicht mal so neue, aber interessante Art zu spielen. Wirtschaftliche Absicherung, kontinuierliche Verbesserung und – bei einem passend gestalteten Konzept – auch bei mehreren Durchläufen immer wieder komplett andere Erlebnisse. Ich bin gespannt, wo sich Private Mystery und auch das Konzept der wiederholbaren Larps noch hin entwickeln werden. Wird es das „Next Big Thing“ oder wird es wieder in der Versenkung verschwinden?
Mich würde vor allem auch eure Meinung dazu interessieren. Immerhin haben wir als Larper alle gemeinsam in der Hand, ob das Konzept sich durchsetzen wird oder nicht.
Wart ihr schon mal auf einem solchen Larps mit mehreren Runs? Vielleicht sogar auf mehreren Runs ein und desselben Spiels? Was waren eure Erfahrungen?
Oder sagt ihr, das ist alles Quatsch und wollt eure eigenen Charaktere spielen, eure eigenen Geschichten erleben und entwickeln?
Sind Reruns nur schales, wiederaufgewärmtes Essen vom Vortag oder sind sie wie Gulasch, das mit jedem mal aufwärmen einfach immer besser wird?
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